H.P.Pas
13-09-15, 07:37
RAF: Lust an Gewalt | ZEIT ONLINE (http://www.zeit.de/2007/11/RAF)
Link linkte niet. De reacties zijn ook interessant.
Zal het voor je kopieren. Op NVDD.
Sorry aan de overige prikkers te lang, ik weet het. :slaap:
Lust an Gewalt
Die RAF fasziniert noch heute. Viele glauben, sie habe aus politischen Motiven gehandelt. Das ist ein Irrtum. Tatsächlich waren ihre Taten von Größenwahn und Machtgier geprägt. von Jan Philipp Reemtsma
Wenn man als Sozialwissenschaftler mit literarischen Texten arbeitet, kann man das in vielerlei Hinsicht tun. Man kann sie unmittelbar als Quellen benutzen; zum Beispiel wenn ich wissen will, wovon sich eine englische Bourgeoisie im 19. Jahrhundert rühren ließ, dann werde ich nicht umhinkommen, Romane von Charles Dickens zu lesen.
Ich kann literarische Texte aber auch in ganz anderer Weise benutzen, nämlich als Dokumente sozialwissenschaftlicher Einsichten. Sie sind dann das, was auch in der Soziologie ein legitimes Erkenntnismittel ist: Gedankenexperimente. In diesem Sinne – als Gedankenexperiment – werde ich Dostojewskijs Dämonen (in der neuen Übersetzung Böse Geister, S. Fischer Verlag) verwenden, um zu zeigen, wie der Roman zum Verständnis eines Phänomens beitragen kann, das sein Verfasser gar nicht kannte: des bundesdeutschen Terrorismus der siebziger Jahre. Aber Dostojewskij hat sich mit dem anarchistischen Terrorismus seiner Zeit beschäftigt, und dabei ist er zu Einsichten gekommen, die über seinen eigenen zeitlichen Horizont weit hinausreichten (siehe auch die Studie von Gudrun Braunsperger: Sergej Necaev und Dostoevskijs Dämonen: Die Geburt eines Romans aus dem Geist des Terrorismus , Peter Lang Verlag ) .
Im Januar 1873 wurde in Moskau einem gewissen Sergej Netschajew der Prozess gemacht. Netschajew war eine bizarre Erscheinung. Er war 1847 geboren, stammte aus kleinbürgerlichem Milieu, war als Anfangzwanziger Gasthörer an der Universität St. Petersburg, entwickelte aber früh einen rigorosen Antiintellektualismus. Seinen Status als Gasthörer verwandte er vor allem darauf, während der Petersburger Studentenunruhen als Redner und politischer Organisator aufzutreten. Seine Idee war, möglichst viele Studenten politisch zu aktivieren, mit dem Ziel, dass sie daraufhin von den Universitäten verwiesen würden, worauf sie unfehlbar aufs Land ziehen und die Bauern revolutionär agitieren würden. Die allgemeine revolutionäre Erhebung erwartete er für das Jahr 1870. Im Jahre 1869 gab es eine Verhaftungswelle, und Netschajew verließ Russland – nicht ohne das Gerücht, er sei verhaftet worden und geflohen, zu verbreiten. Er ging in die Schweiz und suchte Kontakt zu Bakunin, dem er erzählte, er sei der Gründer eines revolutionären Netzwerks in Russland. Er verfasste den später viel gelesenen Katechismus eines Revolutionäres , kehrte nach Russland zurück und zeigte überall die ihm von Bakunin ausgestellte Bescheinigung vor, die ihn zum Beauftragten der russischen Sektion des »Internationalen Revolutionären Weltbundes« erklärte, sowie den Mitgliedsausweis der »Alliance Révolutionnaire Européenne, Comité géneral« Nr. 2771.
Diese Organisationen gab es ebenso wenig wie die revolutionären Zirkel, die Netschajew Bakunin vorgelogen hatte. Netschajew gründete eine Gruppe namens »Strafgericht des Volkes«, die er denjenigen, die er für die Gruppe anwarb, wieder als Teil eines russlandweiten revolutionären Netzwerks ausgab. Die Mitglieder dieser Gruppe haben sich, wie es scheint, Netschajew vollständig untergeordnet – mit einer Ausnahme: Ein gewisser Iwan Iwanow weigerte sich, Agitationsmaterial in einer Bibliothek und einer Mensa auszuteilen, weil er befürchtete, diese Einrichtungen könnten geschlossen werden – worunter vor allem ärmere Studenten würden zu leiden haben. Netschajew forderte ultimativ die Unterordnung unter die Vorgaben der Gruppe oder Iwanows Austritt. Iwanow verließ die Gruppe und wurde daraufhin von Netschajew und vier anderen ermordet. Dieser Mord war Gegenstand des Prozesses, der mit der Verurteilung Netschajews endete. Er starb nicht ganz zehn Jahre nach seiner Verurteilung im Kerker.
Der Roman Die Dämonen war zu Teilen schon vor dem Netschajew-Prozess geschrieben, aber der Mord an Iwanow und das Phänomen Netschajew gehören unmittelbar zu seiner Vorgeschichte. Das Gedankenexperiment, das sich in ihm findet, kann man als Antwort auf die Frage verstehen: »Wie war es nur möglich, dass Netschajew Erfolg haben konnte? Wie konnte er überhaupt Anhänger sammeln und sie dazu bringen, einen brutalen Meuchelmord zu begehen?«
Zunächst braucht es ein Milieu, aus dem solche Anhänger rekrutiert werden können, und es muss sich um ein Milieu handeln, das für bestimmte verbale Verhaltensanreize empfindlich ist. In dem Kapitel Bei den Unsrigen beschreibt Dostojewskij ein solches Milieu. Wenn man die Schilderung dieses Zusammentreffens liest, fühlt man sich in das Berlin der frühen siebziger Jahre versetzt. Wir haben sie alle beisammen: neben wohlwollenden Vertretern der älteren Generation den Studenten, der mit seinem Status hadert, die aufgeregte Studentin, die sich mit jedem anlegt, der Schweigsame, der sich immer Notizen macht, »und dann, schließlich, ein Gymnasiast, ein vor Eifer glühender achtzehnjähriger Junge, der mit der düsteren Miene eines in seiner Würde gekränkten Menschen dasaß und sichtlich unter seinen achtzehn Jahren litt. Dieses Kind war bereits Anführer einer selbständigen Verschwörergruppe, die sich in der obersten Klasse des Gymnasiums gebildet hatte.« Alle diese Leute meinen irgendetwas, aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, dass sie insgesamt ein Klima erzeugen, in dem alle nervös, reiz- und kränkbar auf das erlösende Wort »Schluss damit, jetzt muss gehandelt werden!« warten.
Vor allem aber ist der Wunsch nach Gruppenbildung und Abgrenzung spürbar. Der zusammengewürfelte Haufen diffus Unzufriedener versucht sich als eine Art Komitee für irgendwas zu konstituieren. Schließlich mündet das Ganze in eine revolutionäre Theorie, die wiederum die Gemüter entzweit. Schließlich kommt Pjotr Stepanowitsch, jene Figur des Romans, die, wenn sie auch kein Porträt Netschajews darstellt, so doch dessen Rolle als Chef einer »Fünfergruppe« und Anstifter des Mordes an dem scheinbar dissidenten Genossen spielt, zu Worte: »Sparen wir uns das Gerede – man kann doch nicht weitere dreißig Jahre lang schwatzen, wie bereits dreißig Jahre geschwatzt wurde – ich stelle Ihnen eine Frage: Was ist Ihnen lieber, der langsame Weg, der im Verfassen sozialer Romane und bürokratischer Bestimmungen menschlicher Schicksale auf tausend Jahre im voraus auf dem Papier besteht (…) oder die rasche Lösung, worin sie auch bestehen mag, die (…) der Menschheit die Möglichkeit garantiert, ungestört und aus eigener Kraft eine soziale Ordnung aufzubauen, und zwar in der Realität und nicht auf dem Papier? Ich (…) bitte deshalb die ehrenwerte Gesellschaft, nicht abzustimmen, sondern sich klipp und klar äußern zu wollen, was für jeden von Ihnen ansprechender ist: im Schildkrötengang im Sumpf waten, oder mit Volldampf hindurch?«
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Sorry aan de overige prikkers te lang, ik weet het. :slaap:
Lust an Gewalt
Die RAF fasziniert noch heute. Viele glauben, sie habe aus politischen Motiven gehandelt. Das ist ein Irrtum. Tatsächlich waren ihre Taten von Größenwahn und Machtgier geprägt. von Jan Philipp Reemtsma
Wenn man als Sozialwissenschaftler mit literarischen Texten arbeitet, kann man das in vielerlei Hinsicht tun. Man kann sie unmittelbar als Quellen benutzen; zum Beispiel wenn ich wissen will, wovon sich eine englische Bourgeoisie im 19. Jahrhundert rühren ließ, dann werde ich nicht umhinkommen, Romane von Charles Dickens zu lesen.
Ich kann literarische Texte aber auch in ganz anderer Weise benutzen, nämlich als Dokumente sozialwissenschaftlicher Einsichten. Sie sind dann das, was auch in der Soziologie ein legitimes Erkenntnismittel ist: Gedankenexperimente. In diesem Sinne – als Gedankenexperiment – werde ich Dostojewskijs Dämonen (in der neuen Übersetzung Böse Geister, S. Fischer Verlag) verwenden, um zu zeigen, wie der Roman zum Verständnis eines Phänomens beitragen kann, das sein Verfasser gar nicht kannte: des bundesdeutschen Terrorismus der siebziger Jahre. Aber Dostojewskij hat sich mit dem anarchistischen Terrorismus seiner Zeit beschäftigt, und dabei ist er zu Einsichten gekommen, die über seinen eigenen zeitlichen Horizont weit hinausreichten (siehe auch die Studie von Gudrun Braunsperger: Sergej Necaev und Dostoevskijs Dämonen: Die Geburt eines Romans aus dem Geist des Terrorismus , Peter Lang Verlag ) .
Im Januar 1873 wurde in Moskau einem gewissen Sergej Netschajew der Prozess gemacht. Netschajew war eine bizarre Erscheinung. Er war 1847 geboren, stammte aus kleinbürgerlichem Milieu, war als Anfangzwanziger Gasthörer an der Universität St. Petersburg, entwickelte aber früh einen rigorosen Antiintellektualismus. Seinen Status als Gasthörer verwandte er vor allem darauf, während der Petersburger Studentenunruhen als Redner und politischer Organisator aufzutreten. Seine Idee war, möglichst viele Studenten politisch zu aktivieren, mit dem Ziel, dass sie daraufhin von den Universitäten verwiesen würden, worauf sie unfehlbar aufs Land ziehen und die Bauern revolutionär agitieren würden. Die allgemeine revolutionäre Erhebung erwartete er für das Jahr 1870. Im Jahre 1869 gab es eine Verhaftungswelle, und Netschajew verließ Russland – nicht ohne das Gerücht, er sei verhaftet worden und geflohen, zu verbreiten. Er ging in die Schweiz und suchte Kontakt zu Bakunin, dem er erzählte, er sei der Gründer eines revolutionären Netzwerks in Russland. Er verfasste den später viel gelesenen Katechismus eines Revolutionäres , kehrte nach Russland zurück und zeigte überall die ihm von Bakunin ausgestellte Bescheinigung vor, die ihn zum Beauftragten der russischen Sektion des »Internationalen Revolutionären Weltbundes« erklärte, sowie den Mitgliedsausweis der »Alliance Révolutionnaire Européenne, Comité géneral« Nr. 2771.
Diese Organisationen gab es ebenso wenig wie die revolutionären Zirkel, die Netschajew Bakunin vorgelogen hatte. Netschajew gründete eine Gruppe namens »Strafgericht des Volkes«, die er denjenigen, die er für die Gruppe anwarb, wieder als Teil eines russlandweiten revolutionären Netzwerks ausgab. Die Mitglieder dieser Gruppe haben sich, wie es scheint, Netschajew vollständig untergeordnet – mit einer Ausnahme: Ein gewisser Iwan Iwanow weigerte sich, Agitationsmaterial in einer Bibliothek und einer Mensa auszuteilen, weil er befürchtete, diese Einrichtungen könnten geschlossen werden – worunter vor allem ärmere Studenten würden zu leiden haben. Netschajew forderte ultimativ die Unterordnung unter die Vorgaben der Gruppe oder Iwanows Austritt. Iwanow verließ die Gruppe und wurde daraufhin von Netschajew und vier anderen ermordet. Dieser Mord war Gegenstand des Prozesses, der mit der Verurteilung Netschajews endete. Er starb nicht ganz zehn Jahre nach seiner Verurteilung im Kerker.
Der Roman Die Dämonen war zu Teilen schon vor dem Netschajew-Prozess geschrieben, aber der Mord an Iwanow und das Phänomen Netschajew gehören unmittelbar zu seiner Vorgeschichte. Das Gedankenexperiment, das sich in ihm findet, kann man als Antwort auf die Frage verstehen: »Wie war es nur möglich, dass Netschajew Erfolg haben konnte? Wie konnte er überhaupt Anhänger sammeln und sie dazu bringen, einen brutalen Meuchelmord zu begehen?«
Zunächst braucht es ein Milieu, aus dem solche Anhänger rekrutiert werden können, und es muss sich um ein Milieu handeln, das für bestimmte verbale Verhaltensanreize empfindlich ist. In dem Kapitel Bei den Unsrigen beschreibt Dostojewskij ein solches Milieu. Wenn man die Schilderung dieses Zusammentreffens liest, fühlt man sich in das Berlin der frühen siebziger Jahre versetzt. Wir haben sie alle beisammen: neben wohlwollenden Vertretern der älteren Generation den Studenten, der mit seinem Status hadert, die aufgeregte Studentin, die sich mit jedem anlegt, der Schweigsame, der sich immer Notizen macht, »und dann, schließlich, ein Gymnasiast, ein vor Eifer glühender achtzehnjähriger Junge, der mit der düsteren Miene eines in seiner Würde gekränkten Menschen dasaß und sichtlich unter seinen achtzehn Jahren litt. Dieses Kind war bereits Anführer einer selbständigen Verschwörergruppe, die sich in der obersten Klasse des Gymnasiums gebildet hatte.« Alle diese Leute meinen irgendetwas, aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, dass sie insgesamt ein Klima erzeugen, in dem alle nervös, reiz- und kränkbar auf das erlösende Wort »Schluss damit, jetzt muss gehandelt werden!« warten.
Vor allem aber ist der Wunsch nach Gruppenbildung und Abgrenzung spürbar. Der zusammengewürfelte Haufen diffus Unzufriedener versucht sich als eine Art Komitee für irgendwas zu konstituieren. Schließlich mündet das Ganze in eine revolutionäre Theorie, die wiederum die Gemüter entzweit. Schließlich kommt Pjotr Stepanowitsch, jene Figur des Romans, die, wenn sie auch kein Porträt Netschajews darstellt, so doch dessen Rolle als Chef einer »Fünfergruppe« und Anstifter des Mordes an dem scheinbar dissidenten Genossen spielt, zu Worte: »Sparen wir uns das Gerede – man kann doch nicht weitere dreißig Jahre lang schwatzen, wie bereits dreißig Jahre geschwatzt wurde – ich stelle Ihnen eine Frage: Was ist Ihnen lieber, der langsame Weg, der im Verfassen sozialer Romane und bürokratischer Bestimmungen menschlicher Schicksale auf tausend Jahre im voraus auf dem Papier besteht (…) oder die rasche Lösung, worin sie auch bestehen mag, die (…) der Menschheit die Möglichkeit garantiert, ungestört und aus eigener Kraft eine soziale Ordnung aufzubauen, und zwar in der Realität und nicht auf dem Papier? Ich (…) bitte deshalb die ehrenwerte Gesellschaft, nicht abzustimmen, sondern sich klipp und klar äußern zu wollen, was für jeden von Ihnen ansprechender ist: im Schildkrötengang im Sumpf waten, oder mit Volldampf hindurch?«